Im Regelfall lasse ich mich von You FM Wecken. Der Sender ist Teil des Hessischen Rundfunks und wirbt damit, Musik zu spielen, bei der die Hörer einen großen Teil zu Auswahl beitragen. Fragt mich jetzt nicht, wie ich als Bayer dazu kommen HR zu hören, das weiß ich selbst nicht so genau. Worum es mir eigentlich geht, ist die Tatsache, dass der Sender seine Innovatioskraft promotet und dabei ein eintönigeres Programm hat als der handelsübliche Chartsender. Ich will mich nicht über das Programm beschweren, schließlich zwingt mich keiner und morgens beim Aufwachen habe ich auch kein Problem damit, immer die selbe Musik zu hören. Heute war es allerdings anders. Der Moderator forderte die Zuhörer auf, die Musik zu wählen, die sie besonders mögen. Per App und Webseite, wenn mich nicht alles täuscht. Und hier kommt der Widerspruch, der mich angeregt hat, mal über das Thema Schwarmintelligenz nachzudenken. Zum einen ist es ein toller Ansatz, wenn Hörer selbst entscheiden können, was sie hören wollen, zum anderen ist der Sender das beste Beispiel dafür, dass dieses Vorgehen exakt das Gegenteil von Variation hervorbringt. Nun bin ich natürlich nicht der erste, der sich über Schwarmintelligenz im Internet auslässt. Ich habe direkt mal einen Artikel von Sascha Lobo beim SPON gefunden, der sich des Themas annimmt, wenn auch aus einem anderen Blickwinkel. Das hält mich jetzt aber nicht davon ab, mir auch Gedanken zu machen.
Der offline Schwarm
Dieser Abschnitt betrachtet das reale menschliche Zusammenleben ohne Internet.
Ich frage mich, sind Schwärme wirklich intelligenter? Dabei möchte ich das Tierreich mal vernachlässigen, da ein Vogel- oder Fischschwarm durchaus zu immensen Leistungen in der Lage ist. Aber wie sieht es mit Menschen aus? Bei größeren Ansammlungen von Menschen kommt mir als erstes ein durchaus negativer Aspekt in den Sinn. Der Gruppenzwang, wohl das Gegenteil der Schwarmintelligenz. Soll heißen, sind genug Idioten um eine intelligente Person herum, neigt diese dazu sich intellektuell im Niveau anzupassen. Keine intelligente Person würde auf den Gedanken kommen, jemand zu treten, der auf dem Boden liegt, sich ins Koma zu saufen oder mit dem Rauchen anzufangen. Im Schwarm (bzw. der Gruppe) passiert es schneller, das man sich mitreissen lässt.
Gerne unterstelle ich jedem der Leser hier die Fähigkeit, eine Tür zu öffnen, auch wenn Sie sich zu ihm hin öffnet. Ganz anders sieht die Situation aus, wenn sich von hinten eine Gefahr nähert und man nicht alleine ist, sondern den Schwarm im wahrsten Sinne des Wortes im Rücken hat. Dies ist der Grund, wieso Notausgänge immer nach außen aufgehen. 200 Menschen vor einer Tür, die nach innen aufgeht, schaffen es nicht, diese zu öffnen, wenn hinter ihnen ein Feuer ausgebrochen ist.
Natürlich ließe sich diese Reihe noch erweitern oder mit Beispielen aus der Praxis (Demonstrationen, Loveparade-Unglück) anreichern, aber es soll ja noch der Online-Aspekt betrachtet werden.
Schwarmintelligenz im Online-Schwarm
Nach der Betrachtung der Offline-Situation nun die Betrachtung des Online-Bereichs.
Die Frage, die sich nun stellt, ist meiner Meinung nach, ob Schwärme wirklich intelligenter sind, wenn sie aus Personen bestehen, die vor dem Rechner sitzen und sich online treffen. Ich muss leider sagen, ich denke nicht, dass dem so ist. Ein harmloses Beispiel ist oben genannter Sender You FM. Der Sender hätte das Potential ein breites Spektrum an Musik zu spielen. Unterstellen wir mal, dass sie wirklich auf die Wünsche der Hörer achten, könnte Musik quer durch alle Genres gespielt werden, so dass für jeden Hörer hier und da eine Perle dabei ist. Die Realität zeigt aber einen Sender, der eine schlechtere Auswahl an Musik hat, als die Top 100 zu bieten haben. Woran liegt das? Ich denke, es liegt daran, dass der Sender, um Konflikte zu vermeiden, einfach die Lieder spielt, die von nahezu allen befürwortet werden und somit jegliche Ausreißer oder Nischen eliminiert. Das ist wie eine Diskussionsgruppe zu einem Thema, bei dem am Schluss alle Punkte bei denen keine 100%ige Einigkeit herrscht verworfen werden. Man stelle sich bei einem Konzert, einer Veranstaltung, einem Kunstobjekt oder jeder anderen Sache, bei der Menschen zusammenarbeiten vor, es würde nur das umgesetzt, womit alle in der Gruppe einverstanden sind. Das wäre der Inbegriff der Langeweile und You FM ist ein gutes Beispiel dafür. An dieser Stelle sollte ich wohl erwähnen, dass es mir sehr leid tut, dass der Sender als Beispiel herhalten muss. Ich mag die Moderatoren irgendwie total gerne und ich höre den Sender ja freiwillig :).
Deshalb zu einem anderen Beispiel. Der Mob. Dieser tritt unterdessen gerne auf diversen kommerziellen Facebook Seiten auf und produziert dort einen Shitstorm nach dem anderen oder, etwas harmloser, klickt in Scharen auf irgendwelche Facebook-Viren. Viele würden sich im wahren Leben nicht vor eine McDonalds Filiale stellen und schreien “Alles Arschlöcher!“, sie machen es aber, wenn auf der Facebook Seite jemand behauptet, der Cheesburger würde jetzt 1,39€ kosten (bei mir im Umkreis kostet er immer noch 1,19€) und das wäre ja eine Frechheit im Vergleich zur D-Mark (Leute, das ist unterdessen über 10 Jahre Inflation her…). Der Ausruf wäre auch noch harmlos im Vergleich zu einem Facebook Shitstorm der durch so eine Aussage losgetreten wird und die Worte, die dort verwendet werden. Vom Umfang ganz zu schweigen. Solche Posts, die auf vermeintlich falschen Tatsachen beruhen ernten tausende Kommentare und Zehntausende Likes. Ist das Intelligent? Hat sie hier zugeschlagen, die Schwarmintelligenz? Oder ist das eher ein Online-Fall des gruppenmäßigen Abschaltens jeder Hirnaktivität?
Ist es das, was Schwarmintelligenz auszeichnet?
Die Vorteile des Schwarms
Wieso der Schwarm doch gutes hervorbringen kann.
Gerne könnt ihr mir unterstellen, ich mag keine Menschen und traue ihnen von Haus aus zu wenig zu und das mag durchaus sein. Natürlich gibt es auch Projekte, in denen Gruppen mehr erreicht haben, als Einzelpersonen und das tritt im Internet sogar häufig auf. Doch ist es wirklich darauf zurückzuführen, dass viele ein bisschen beisteuern und damit übermäßig intelligent werden? Ich denke nicht, dass dem so ist. Meiner Meinung nach offenbart uns das Internet einfach nur die Möglichkeit schneller und unkomplizierter Expertengremien zu bilden, bei denen jeder das Wissen aus seinem Fachbereich beisteuern kann, um ein Projekt aus möglichst vielen Blickwinkeln zu betrachten und somit zu lösen. Lobo beschreibt das mit Kollaboration und daran ist sicher nichts verkehrt. Vielleicht lässt sich die Schwarmintelligenz auch umschreiben mit einem Schwarm Intelligenter. Meiner Meinung nach führt ein Schwarm im Regelfall zu mittelmäßigen Ergebnissen, woran nichts auszusetzen ist, denn das Ergebnis ist am Ende massenkompatibel, wenn auch nicht umbedingt innovativ. Mit dem richtigen Schwarm lassen sich durchaus Innovationen erlangen, welche dann aber weniger das Produkt vieler Köpfe sind, sondern viel mehr die Summe spezifischer Einzelleistungen.
Zum Schluss noch ein Beispiel
Nehmen wir an, wir möchten zum Mond fliegen. Wir haben eine Gruppe um uns versammelt von 1.000 Menschen. Sicher wissen alle, wie man ein Auto tankt und vielleicht kommt auch einer auf die Idee, wie man das auf eine Mondrakete adaptieren kann, doch vielleicht haben wir einen im Team, der weiß, wie man Raketen baut. Das hilf uns in dem Fall mehr als die 999 anderen. Und je mehr Menschen sich an dem Projekt beteiligen, desto größer ist die Chance, dass genau der eine dabei ist. Mit der Rakete ist es ja nicht vorbei, wir brauchen auch jemand, der eine Startrampe entwirft, also wären ein Bauingenieur und vielleicht ein Architekt auch ganz gut im Schwarm platziert. Ganz zu schweigen von einer Person, die alles koordiniert. Viele einzelne tragen also mit Ihren individuellen Experten-Fähigkeiten dazu bei, etwas großes zu schaffen. Egal ob der Raketenphysiker in der Konstruktion oder der LKW-Fahrer, der als Experte Ratschläge für den Transport der Rakete geben kann.
Ich hoffe, ich konnte euch meine Meinung zum Thema Schwarmintelligenz ein wenig näher bringen und freue mich auf eure Kommentare und Anregungen.